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Andererseits kannten schon die alexandrinschen Computisten die Epakten; diese waren das ganze Mittel alter im Gebrauch, indem sie in den Werken des Victorius, Dionysius Exiguus, Beda und anderer Chronologen ausführlich besprochen sind und in sorgfältig oder feierlich datierten Urkunden und überhaupt bei genauen Zeitangaben der Chronisten unter den verschiedenen Jahrescharakteren verzeichnet werden. Richtig ist nur das, dass eine bestimmte Art von Epakten durch den bedeutendsten Mann der gregorianischen Kalenderkommission, den aus Kalabrien stammenden Arzt Luigi Lilio († 1576), für die Osterbestimmung sehr stark empfohlen worden und seitdem im neuen Stil sehr gebräuchlich ist. Ob sie eine wesentliche Erleichterung der Bestimmungsweise der Mondphasen bedeuten, das wird dem aufmerksamen Leser die folgende Auseinandersetzung zeigen. Für die Beurteilung dieser Frage ist von vornherein zu beachten, dass auch bei der Epaktentheorie die goldene Zahl nicht entbehrt werden kann.

Das Wort επακται [1] (zu ergänzen ημεραι = herbeigeführte, herbeigeholte Tage) bezeichnet bei griechischen Schriftstellern "Schalttage", im Kalender ursprünglich die Zahl der Tage, die zu den 354 Tagen des Mondjahres hinzugefügt werden müssen, damit die Zahl der Tage des gemeinen Sonnenjahres erreicht werden. Daher sind in diesem Sinne die Epakten des 1. Jahres im 19jährigen Cyklus 11, im 2. Jahre 22, im 3. Jahre 33 oder, indem der in dieser Anzahl von Tagen enthaltene Monat mit 30 Tagen zum vorhergehenden Jahre als Schaltmonat hinzugefügt, daher hier 30 Tage abgezogen werden [2], 3, im 4. Jahre 14 usw.. im 19. Jahre 29. Die Epakte wächst also mit jedem Jahre um 11 (dem Unterschied der Tage des Mond- und Sonnenjahres). Diese Epakten geben uns demnach an, wie alt der Mond am Ende eines Sonnenjahres, also zu Beginn des folgenden Jahres ist. Man bezeichnet sie daher als die Epakte oder Mondalter des folgenden Jahres. "Die Epakte des Jahres 1907 ist 16" bedeutet hiernach: An der Wende des Jahres 1906 und 1907, also zu Beginn des l. Januar 1907 ist der Mond 16 Tage alt. Da der synodische Monat ungefähr 29½ Tage (abwechselnd 29 und 30 Tage) ausmacht, so gibt es 30 Epakten 1 - 30. Die Epakte 30 bedeutet: Bei Beginn des betreffenden Jahres ist der Mond 30 Tage alt, die dem verflossenen Jahre angehören; es beginnt also ein neuer Mond, der zu Beginn des Jahres 0 Tage alt ist. Aus diesem Grunde bezeichnet man diese Epakte nicht mit 30, sondern mit 0.[3]

Ist also Neumond am 1. Januar, so ist die Epakte 0. Diese Zahl setzt man neben den 1. Januar und, indem man abwechselnd 30 und 29 Tage weiterzählt, auch zu den übrigen Neumondstagen, also neben den 31. Januar, 1. und 31. März, 29. April, 29. Mai, ... 21 Dezember. Indem man nun dies Verfahren fortsetzt, schreibt man neben den 2. Januar und März, 1. Februar und April, 30. April und Mai, 28. Juni, . . . 22. Dezember die Epakte 29 usw., . . . neben den 30. Januar und März, 28. Februar, April und Mai, 26. Juni. ... 20. Dezember die Epakte 1.


1 Verbaladjektiv von επαγω (führe hinzu, hole zu Hilfe, füge hinzu).
2 Streng genommen haben wir es bei dem 19jährigen Mondcyklus nicht mit Mondjahren, die ein willkürliches, dem Sonnenjahr angeglichenes Gebilde sind, sondern mit 235 Mondmonaten zu tun. Aus diesem Grunde wird hier und überall sonst, so oft die Zahl 30 oder mehr erreicht ist, weil darin ein ganzer Monat enthalten ist, die Zahl 30 subtrahiert, aber auch, wenn es nötig sein sollte, addiert.
3 Da in der lateinischen Schrift das Zahlzeichen für 0 fehlt, so wird in den lateinisch geschriebenen Werken statt 0 das Zeichen * gesetzt.