Die Lunarbuchstaben in den Kalendarien des Mittelalters.169

nach welcher der Paschamonat der erste des Jahres sein sollte. Die Alexandriner hatten somit eine zweifache Epoche des Mondjahres: eine, welche sich aus der technischen Einrichtung des Zeitkreises ergab und welche nach dessen Anlage der Epoche ihres festen solaren Jahres möglichst nahe kam, und eine zweite kirchliche, welche dem obersten Zwecke dieser Zyklusbildung entsprach.

Es scheint mir nun auf der Hand zu liegen, dass die Lateiner, welche die Alexandrinische Enneakadekaëteris auch im Abendlande einzuführen trachteten, zunächst sich nur der kirchlichen Epoche des Alexandrinischen Mondjahres bedienen konnten. Mit jenem Grundgesetze, dass das österliche Mondjahr mit dem Paschamonat beginnen müsse, war man ja auch in der lateinischen Kirche einverstanden und die in den ersten Jahrhunderten ausgebrochenen Osterstreitigkeiten drehten sich hinsichtlich des Ostermonats nur um die Frage, wie derselbe richtig festzustellen sei 1). Und indem zu letzterem Behufe Dionysius Exiguus die Alexandrinische Methode, jene "nicht so sehr auf menschlichem Wissen, als auf der Eingebung durch den heiligen Geist beruhenden" Grundsätze der abendländischen Kirche zu empfehlen sich zur Aufgabe gemacht hatte, genügte es in Bezug auf die in zyklischer Ordnung wiederkehrenden Anfänge des Osterjahres der kirchlichen Epoche, wie sie im Orient festgestellt wurde, Eingang zu verschaffen. Die andere mit dem ägyptischen solaren Neujahre zusammenhängende Epoche konnte für das nach römischem Kalender rechnende Abendland höchstens insofern Bedeutung haben, als, wie wir später sehen werden, die technische Einrichtung des Zeitkreises an sie geknüpft war. So spricht denn auch Dionysius überall, wo er das Osterjahr für sich betrachtet, nur von dem mit dem Paschamonat anhebenden Mondjahre, und ebenso kennt Beda, der sich in seinen Schriften bemühte, die letzten Zweifel an der Richtigkeit der Alexandrinischen schon zu Glaubensartikeln gewordenen Regeln zu zerstreuen 2), für das eigentliche Osterjahr keine andere Epoche. In einem weiteren Punkte aber, über den ich in den Schriften der Alexandriner nichts finde, gehen die Meinungen der


1) S. die Osterbriefe des Proterius, Victorius u. A. in Petavius de doctrina temporum 2, 498 seq.
2) Die schärfste Verurteilung aller, die sich noch gegen die Alexandrinishhen Regeln sträubten, spricht Beda in der epistola ad Wicredam, Giles l, 161, aus.