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durch Herkommen, später durch Vorschriften geboten, an jedem Tage die Lima anzugeben, so mussten die Kalender auch darauf angelegt sein und jedem, der nicht rechnen konnte, ermöglichen, aus ihm das Mondalter zu ersehen.

Es gilt nun bisher als ausgemachte Sache, dass man sich schon das ganze Mittelalter hindurch für diese lunare Zeitrechnung des in allen chronologischen Lehrbüchern abgedruckten sogenannten immerwährenden Julianischen Kalenders bedient habe, in welchem die Neumondstage durch die ihnen beigesetzten goldnen Zahlen angezeigt sind. Die Mehrzahl der Chronologen vergisst dabei die Frage aufzuwerfen, wann diese Kalenderform aufgekommen sein mag; andere lassen sie geradezu so alt sein, als die Alexandrinische Osterrechnung. Das ist entschieden unrichtig. Und ohne mich hier auf eine eingehende Widerlegung dieser Vermutung, denn mehr ist es bisher nicht 1) einzulassen, stelle ich dem die Behauptung entgegen, dass das frühere Mittelalter diese Form des Julianischen Kalenders noch nicht gekannt,


1) Weder Scaliger, noch Clavius, Petavius u. A. führen ein bestimmtes Zeugnis für ihre Behauptung an; höchstens berufen sie sich im Allgemeinen auf Beda's Werke und meinen dann offenbar in diesem Falle die in den älteren Ausgaben mit enthaltenen Ephemeriden. Die Ephemeriden sind aber eine viel jüngere Arbeit (s. the complete works of ven. Bede, by Giles; I the life p. CX und VI preface p. XIV) und können nichts für Beda's, geschweige denn für frühere Zeit beweisen. Wann nun die neue Form des Mondkalenders aufgekommen sein mag, wird sich nicht eher bestimmt beantworten lassen, als bis eine umfassende Revision der älteren handschriftlichen Kalender in den verschiedenen Ländern stattgefunden hat. Folgendes gebe ich nur als Beitrag zur Lösung. Nach einer .Notiz von Jan (dissert. cycli Dionysiani §. 18, in der Klotz'schen Ausgabe p. 131) soll sich im Cod. Digbaeanus saec. IX inc. ein den Ephemeriden ähnlicher römischer Kalender mit goldenen Zahlen befinden. Aber es müsste erst noch festgestellt werden, dass diese Zahlen der ersten Anlage des Kalenders angehören. Wie ich selbst nämlich bei sehr vielen alten Kalendern gefunden habe, hat man in ihnen häufig in späteren Jahrhunderten, in denen der Julianische Mondkalender allgemein verbreitet war, die goldenen Zahlen nachgetragen. Die Untersuchung der Handschriften muss also darauf hinausgehen, festzustellen, ob schon in der ursprünglichen Anlage der Tafeln eine Kolonne für diese Art von Monddaten bestimmt war. Davon aber habe ich unter mehr als dreißig von mir geprüften Exemplaren vor 1000 kein einziges Beispiel gefunden und ziehe eben deshalb auch die Jan'sche Angabe in Zweifel. Unter den zahlreichen Kalendarien der Wiener Hofbibliothek findet sich sogar vor 1300 kein einziges mit ursprünglich eingetragenen goldenen Zahlen. Doch habe ich anderwärts die neue Einrichtung früher gefunden. Zuerst in dem Cod. Sangallensis 394 (regula s. Benedicti, praecedit Kalendarium - jene zu Ende, dieses um die Mitte des XI. Jahrhunderts geschrieben); ferner in einem Herrn von .Meiller gehörigen Kalenderfragment saec. XI und in einer Handschrift des Germanischen Museums, Cod. 3224 saec. XII. Seit dem zwölften Jahrbunderte mehren sich die Beispiele, und um 1286 bezeichnet Durandus diese Form des Mondkalenders schon als eine längst bekannte Einrichtung.