[511]Die Polemik über die Gregorianische Kalenderreform.29

Dann aber wurde die Verschickung plötzlich suspendiert und die bereits mit Unterschrift und Adresse versehenen Exemplare blieben in der kaiserlichen Kanzlei liegen. Verhältnisse in den Erblanden waren die Veranlassung zu diesem auffallenden Verhalten.

In Ober- und Niederösterreich glaubte man ohne Zustimmung der Stände vorgehen zu können, obwohl man auch hier es für gut befand, mit äußerster Vorsicht, ja mit List die Publikation vorzunehmen. [1] In Böhmen aber verhandelte man mit den Ständen; es fehlte nicht an Widerstand in Prag; so verweigerten die dortigen Mathematiker dem Erzbischof entschieden jede Mithilfe, als er ein Kalenderfragment und die Änderung des Festkalenders zum Drucke vorbereitete. Auch die Stände waren schwierig und erst nach mehrfachen Bedenken gaben sie im November ihre Einwilligung. Als man in der kaiserlichen Kanzlei im September mit der Verschickung des Rundschreibens begann, glaubte man wohl, dass diese Zustimmung früher erfolgen werde; als keine Aussicht mehr dazu vorhanden war, sistierte man die weitere Versendung. Nun sollte man meinen, dass der Kaiser, welcher gerade auch in dem Rundschreiben die Notwendigkeit eines einhelligen Vorgehens betont, die Publikation bei den bereits benachrichtigten Ständen rückgängig machte.


1 In Oberösterreich wurden die Stände geradezu überrumpelt. Obwohl das Kalenderpatent für Ober- und Niederösterreich vom 1. / 11. Oktober datiert ist, so wurde doch erst am 20. Oktober alten Stils dasselbe vom Landeshauptmann den gerade versammelten Ständen übermittelt und noch am selben Tage die Publikation von den Kanzeln anbefohlen. Trotzdem also der Einführungstermin bereits verstrichen war, sollte doch die Auslassung der 10 Tage gelten, und der Landeshauptmann führte dies gleich praktisch durch, indem sein diesbezügliches Patent vom Vortage, d. i. dem 19. Oktober vom 29. Oktober neuen Stils datiert ist. Es ist dieses auffallende Benehmen wohl nicht anders zu erklären, als dass man jeder Opposition das Wort abschneiden wollte; und in der Tat glückte es. Am nächsten Tage beantworteten die oberösterreichischen Stände eine Anfrage ihrer steirischen Kollegen, wie sie sich dem neuen Kalender gegenüber verhalten werden. Obwohl sie ihre Verwunderung über das rasche Vorgehen des Landeshauptmanns nicht verbergen, so erklären sie doch, sie wollten sich in dieser Sache als getreue Untertanen erweisen, da sie nicht ex auctoritate papali — welche ihnen hier zu Lande nichts zu gebieten habe — sondern aus Reichs- und Landesfürstlicher Macht und Gewalt vorgenommen worden sei, und da sie ad politicam und nicht per se ad religionem gehörig sei. (Linzer Landes-Archiv. Annalen. Vol. XVI. fol. 273 u. f.) Dieses Vorgehen der oberösterreichischen Stände, die sonst wegen ihrer Sanftmut eben nicht berühmt sind, ist gewiss sehr merkwürdig.