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Erst später, als man diesen historisch realen Zusammenhang des christlichen Osterfestes mit dem jüdischen Passah mehr oder weniger vergessen hatte, empfand man auf christlicher Seite das Bedürfnis, die mit Recht auffällige und daher von vielen bekämpfte Beweglichkeit aus dem Wesen des Festes heraus oder symbolisch zu deuten, aber ohne Erfolg. Das, was z. B. der hl. Augustinus hierüber vorträgt,[1] wird selbst Leute, die in wissenschaftlicher Beziehung sehr genügsam sind, wenig befriedigen.

Somit unterschieden sich Juden- und Heidenchristen in Bezug auf die Osterfeier prinzipiell nur durch den Wochentag des Festes. Lange bestanden beide Arten friedlich ohne Reibung der Christen nebeneinander. Spuren eines Streites tauchen erst auf in der Zeit, wo Bischof Polykarpus von Smyrna um das Jahr 155 nach Rom kam und von Papst Anicetus (155 - 166) zur Befolgung des römischen Gebrauches aufgefordert wurde. Doch er hielt die jüdisch - christliche Gewohnheit fest, ohne dass durch diese Weigerung der Friede zwischen beiden Parteien gestört wurde. Melito, Bischof von Sardes (letzte Hälfte des 2. und Anfang dos 3. Jahrhunderts), verfasste eine besondere Schrift über die Osterfeier, da in Laodicäa infolge des Osterstreites eine Aufsehen erregende Spaltung eingerissen war; er steht auf seiten der Quartodezimaner. Gegen ihn schrieb Clemens von Alexandrien († um 217).

Die Differenzen nahmen einen bedenklicheren Charakter an unter Papst Viktor I. (189 - 199), dem gegenüber Bischof Polycrates von Ephesus die Praxis der Quartodezimaner als uralte Tradition verteidigte. Doch auch jetzt kam es zu keinem offenen Bruche, dank dem Einfluss hochangesehener gallischer Bischöfe, namentlich des hl. Irenäus von Lyon, der eine Abhandlung De paschate veröffentlichte. Die judenchristliche Praxis wurde indes durch die andere der Heidenchristen allmählich in dem Masse verdrängt, als die Zahl dieser die der Judenchristen überstieg; im 3. christlichen Jahrhundert wurde sie verboten und im 4. Jahrhundert mit Strafen belegt, z. B. von der Synode zu Antiochia (341). Ein Teil der Quartodezimaner fügte sich der Anordnung der kirchlichen Behörde nicht und wurde schismatisisch. Das Schisma erlosch im 5. - 6. Jahrhundert.

3. Der Streit um den Frühlingsvollmond und um den Zeitraum der Osterfeier.
Beilegung des Streites.

Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass bei den Anhängern der sonntägigen Osterfeier Einmütigkeit bezüglich des Festtermins herrschte. Vielmehr traten auch bei ihnen mancherlei Differenzpunkte zu Tage, da die Bestimmung des beweglichen Ostertermins noch nicht an so feste Regeln wie in späteren Jahrhunderten gebunden war. Zwar herrschte im wesentlichen Übereinstimmung bezüglich dieser drei Gesichtspunkte, dass das Fest zu feiern sei 1. im Frühling (oder kurz vor Frühlingsanfang), 2. am oder zunächst nach dem Tage, an dem der Vollmond zuerst im Frühling (oder zuletzt davor) eintritt, 3. an einem Sonntag. Aber da die beiden ersten Punkte nicht fest bestimmt waren, so traten schon von Anfang an grosse Meinungsverschiedenheiten bei den Christen ein; dieselben betreffen a) den Zeitpunkt des Frühlingsanfangs, das sogenannte Frühlingsäquinoktium, b) den Zeitraum, innerhalb dessen sich das Osterfest bewegt, c) die Bestimmung des Tages des Frühlingsvollmondes Über diese drei Differenzpunkte und deren Beseitigung ist im wesentlichen folgendes zu bemerken:


1 Epist. ad Januarium 55. Vgl. auch Martin, Bischof von Dumio († 580), in seiner Schrift De paschate (Migne Patr. lat. LXXII 8. 47 ff.).