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Von wenigen schwachen und erfolglosen Versuchen späterer Zeit,[1] unter Verdrängung des Mondjahres Ostern einem möglichst bestimmten Tage des (julianischen) Sonnenjahres zuzuweisen, abgesehen, wagte man es leider nicht, von dem aus der apostolischen Zeit herrührenden Gebrauche abzuweichen. Der Frühlingsvollmond blieb demnach allgemein die Grundlage für die Fixierung des Osterfestes. Dadurch wurde der Ostertermin stark beweglich. Diese Eigenschaft ist weder in dem Charakter des Festes an sich noch in einem christlichen Dogma begründet, sondern verdankt ihren Ursprung einzig und allein dem Umstand, dass die Juden, in deren Kalender Passah an ein ganz bestimmtes Datum, den 14. Nisan, gebunden ist, ein Mondjahr haben. Da aber das mosaische Gesetz [2] ihnen vorschrieb, am Passahfest reife Ähren zu opfern, so drängte sich ihnen dadurch die Notwendigkeit auf, wenn der Termin des Osterfestes im Sonnenjahre, dem das Mondjahr um 11 Tage nachsteht, so weit rückwärts gewichen war, dass reife Ähren noch nicht gefunden wurden, vor Beginn des betreffenden Mondjahres noch einen Monat von 30 Tagen einzuschalten; ein auf diese Weise mit dem (scheinbaren) Sonnenlauf in möglichster Übereinstimmung gehaltenes Mondjahr heisst bei den Chronologen "gebundenes Mondjahr" im Gegensatz zu dem freien Mondjahr, wie es heute noch die Türken haben.


1 Die kleinasiatischen Montanisten feierten Ostern am Sonntag nach dem 6. April, indem sie den (alttestamentlichen) Ostervollmond dem 14. des ersten Monats des Sonnenjahres zuwiesen. Dies begannen sie aber mit dem Frühlingsäquinoktium, das nach ihrer Meinung am IX. Kal. April. = 24. März war; der 14. Tag des Monats war für sie demnach der 37. März = 6. April. Andere Sekten feierten Ostern am 25. März, dem fast allgemein angenommenen und in den mittelalterlichen Kalendarien verzeichneten Datum der Passion des Heilandes, bzw. am darauffolgenden Sonntag. Dass auch in einigen Gegenden Galliens das Osterfest am 25. März gefeiert worden sei, klingt wenig glaubhaft. In den Nachrichten hierüber liegt wohl eine Verwechslung des unbeweglichen Festes "Resurrectio Domini" mit Ostern. Jenes wurde neben Ostern stets am 27. März gefeiert, da eben der 25. März als Datum der Passion galt (vgl. hierüber die trefflichen Ausführungen von J. Schmid, Osterfestberechnung in d. abendl. Kirche, 8. 84 ff.). Überhaupt, war dem mittelalterlichen Menschen der 25. März ein bedeutungsvolles Datum, da er ihm galt als Tag l. der Erschaffung der Welt, 2. des Frühlingsäquinoktiuins, 3. der Verkündigung Mariä, 4. der Passion. Daher begannen auch viele Staaten mit diesem Tage ihr Jahr. Über die neueren Bestrebungen, die Beweglichkeit dea Osterfestes einzuschränken oder ganz zu beseitigen, vgl. die Aufsätze von L. Günther und v. Sichart (Ztschr. Weltall, 1903, Hefte 18 ff.; auch Sonderabdruck), Sandhage und P. Düren (Ztschr. Pastor bonns, Trier 1906, April- und August - Heft), Thoene, Lässt sich unsere Zeitrechnung vereinfachen? (Papiermühle S.-A. 1906). Dass auch die römische Kurie dieser Frage günstig gegenübersteht, berichtet u. a. W. Förster (Ztschr. Der Lotse, l. Jhrgg., 1900, I, 8. 753): "Ich bin in der Lage, jetzt öffentlich mitteilen zu dürfen, dass auch bei der römischen Kurie eine volle Würdigung der Zweckmässigkeit einer solchen Reform... vorhanden ist." Vgl. desselben Ausserungen im "Deutschen Reichsanzeiger", 1907, 30. März, Nr. 79; ferner des Kardinals Rampolla Brief an W. Förster vom 6. Mai 1897 (abgedruckt bei C. Tondini, L'Italia S. 26 und Suntne Latini S. 15).
2 3. Mos. 23, 10: "Wenn ihr ins Land kommt, das ich euch gebe, und ihr die Saat schneidet, so sollet ihr Garben von Ähren, die Erstlinge euerer Ernte, zum Priester bringen ... (15). Und vom andern Tage nach dem Sabbate, vom Tage an, da ihr die Erstlingsgarbe dargebracht, sollet ihr sieben volle Wochen zählen." 2. Mos. 13, 4; 23, 15; 34, 18; 5. Mos. 16, 9.