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Anders verhielten sich die Heidenchristen, die an Zahl und weltgeschichtlicher Bedeutung den christlich gewordenen Bruchteil des Judentums weit übertrafen. Im Apostelkonzil war die Forderung der Judenchristen, die Heiden sollten nur durch die Synagoge in die Kirche eintreten dürfen, zurückgewiesen worden. Deshalb hatten die aus dem Heidentum kommenden Christen keine Veranlassung, die Feste der Juden mitzufeiern, wie sie ja auch die Beschneidung verwarfen. Vom hl. Paulus, dem Heidenapostel, wird (Col. 2, 17) die Feier der "Feste, Sabbate und Neumonde als ein Schatten dessen, was kommen sollte" für unnötig erklärt, (Gal. 4, 10) über das "Halten der Tage, Monde, Zeiten und Jahre" gespöttelt. Daher wirft der jüdische Gelehrte Trypho (2. Jahrh.),[1] von seinem jüdischen Standpunkte aus mit Recht, den Christen vor, dass sie weder die Feste noch die Sabbate beobachten, noch die Beschneidung zulassen. Zum Verwerfen des jüdischen Passahtermins mag die Christen auch die Schwierigkeit geführt haben, die Daten des sehr komplizierten jüdischen Kalenders, somit auch das Datum des Todestages des Heilandes in die richtigen Daten der vielen anderen Kalender, die damals neben dem noch jungen julianischen Kalender in den verschiedenen Teilen des römischen Reiches in Gebrauch waren, umzudeuten. Infolge dieser Umstände kamen diese Christen schon sehr früh dazu, unter Preisgabe des jüdisch - orientalischen Monatsdatums im Anschluss an den biblischen Passionsbericht die Zeit der Leidenstragödie nach Wochentagen zu bestimmen: An einem Donnerstag hatte der Heiland das Osterlamm mit seinen Jüngern gegessen und das heilige Altarssakrament eingesetzt; am Freitag war er gestorben; am Samstag hatte er im Grabe geruht, und am Sonntag war er von den Toten auferstanden. Daher feierten sie in jeder Woche des Jahres am Donnerstag die Erinnerung an die Einsetzung des Altarssakramentes, am Freitag die Erinnerung an den Kreuzestod, am Samstag an die Grabesruhe und am Sonntag die Erinnerung an die Auferstehung Christi. Dies ist auch heute noch kirchliche Sitte.

Auf dieser religiösen Anschauung beruhte auch die Bestimmung des seit der Mitte des 11. Jahrhunderts eingeführten Gottesfriedens, dass von Mittwoch Abend bis zur Frühe des Montags überall Waffenruhe herrschen solle. So wurde der Freitag ein Buss- und Trauertag, der Sonntag ein Freudentag. Allmählich aber — die genaue Zeit ist nicht mehr bestimmbar — entschlossen sich die Christen, ein einmaliges Fest als offiziellen Erinnerungstag der Auferstehung zu begehen. Da erlangte natürlich unter dem noch immer starken Einfluss der Synagoge jener Sonntag, der dem Frühlingsvollmond unmittelbar folgt, einen Vorrang vor allen anderen, weil er den Leidenstagen des Herrn am nächsten kommt und in die zu neuem Leben erweckende Frühlingszeit fällt. Hieraus erklärt sich die sonst unbegreifliche Sitte, in der Gesamtkirche Ostern mit dem Frühlingsvollmond eng zu verknüpfen oder, mit anderen Worten, für die Zeitbestimmung der zuerst entstandenen Feste das jüdische Mondjahr statt des noch jungen julianischen Kalenders, der sich im Osten noch nicht genügend eingebürgert hatte und daher für die Datierung altherkömmlicher Feste sich nicht gut eignete, zu acceptieren.


1 Bei Justinus [† um 166] (Dialogus cum Tryphone c. 40).