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Meinung aus, dass wohl nur wenige seine diesbezüglichen Ausführungen, die sich durch grossen Scharfsinn auszeichnen, lesen würden. Dieser Mangel des Interesses für einen auf die Kulturgeschichte der christlichen Zeit höchst einflussreichen Wissenszweig hat wohl zwei Gründe: Wir leben im papiernen Zeitalter, in den Tagen der fast raffiniert entwickelten Druckkunst; da gibt es so viele Kalender und sonstige Werke mit Ostertabellen, dass sie die eingehende Beschäftigung mit derartigen Fragen als überflüssig erscheinen lassen. Andererseits sind die neueren Werke über diesen Zweig der Chronologie meist so unklar und verworren, dass sie zur Lektüre nicht einladen, vielmehr davon abschrecken. Einige dieser Werke machen den Eindruck, als seien ihre Verfasser von der Ansicht ausgegangen, dass Unklarheit der Darstellung ein besonders empfehlender Vorzug eines Buches sei. Die Entwicklung der Osterberechnung ist bald zu fachmännisch gelehrt, bald zu weitschichtig und verschwommen, so dass das Verständnis ein langwieriges und mühevolles Studium erfordert, bei dem der schliessliche Erfolg der aufgewandten Mühe nicht entspricht. Wer beispielsweise die Darstellung der Osterdatierung in den bekanntesten Werken neuerer Zeit (Matzka, Brockmann, Brinkmeier, Lersch, Rühl, Las Matrie usw.) oder in Werken wie in Hartmanns Repertorinm rituunm oder in der dem gleichen Zwecke dienenden kalendarischen Einleitung zum Missale Romanum und zum Brevier verfolgt, der legt nicht selten ratlos das Buch zur Seite, weil er schliesslich aus dem endlosen Gewirre von Zeichen, Formeln und Tabellen, deren Anordnung ein einheitliches System vermissen lässt, nicht klug werden kann. In einigen Werken ist die Darstellung gar mit Fehlern belastet; so z. B. gibt Brinkmeier, Handbuch der historischen Chronologie (Berlin 1882) S. 104 und Nirschl, Propädeutik der Kirchengeschichte (Mainz 1888) S. 283 ein Verfahren an, das im gregorianischen Stil öfters unrichtige Osterdaten liefert.

Und doch verdient dieser Gegenstand die ernste Beachtung aller derjenigen, die sich mit chronologischen, weltgeschichtlichen oder kulturhistorischen Studien irgendwie befassen, einmal wegen seiner praktischen Bedeutung, die für den Historiker bezüglich der richtigen Bestimmung früherer Datumsangaben auf der Hand liegt, sodann in höherem Grade wegen seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung. Gab doch in den acht ersten christlichen Jahrhunderten die Osterfestfrage Veranlassung zu zahlreichen Schriften belehrenden und polemischen Inhaltes, zu vielen Synoden, zu klösterlichen Zwistigkeiten, zur Vertreibung von Bischöfen und Mönchen, ja sogar zu Kriegen. Ähnliche weitgehende Streitigkeiten schlossen sich an die gegen Ende des 16. Jahrhunderts vorgenommene Reform des christlichen Kalenders, die vornehmlich im Interesse einer zeitlich Feier des Osterfestes erfolgte.

Eine klare, durchsichtige und gemeinverständliche Darstellung der Osterbestimmung ist nicht schwer. Im Folgenden wird eine solche versucht werden.